Pressetexte


In den Händen von Schleusern

Sonntag Aktuell - Peter Linden

Mit dem Hausboot vom Elsass ins Saarland : Vier Kapitäne auf dem Saar-Kohle-Kanal genießen stille Natur, sinnieren über Fischfang und schreiben Logbücher.

Spaß hat Franck nicht an diesem Nachmittag, zu viele Freizeitkapitäne, die gleichzeitig ablegen wollen. Lustlos schlurft der junge Mann an Bord und erklärt zunächst die Tabuzonen auf unserem Hausboot: Anker, Motor, Gasflasche - überall gilt: Finger weg ! Selbst die Rettungswesten, original verpackt in einem Schränkchen, so verrät Francks Schulterzucken, sind überflüssig: Die Kanäle im Elsass sind 1,80 m tief, da können schiffbrüchige Männer locker noch stehen. Männer wie meine Kollegen David, Michael, Benjamin und ich.

Auch die 40 Sicherungsknöpfe für die elektrischen Geräte an Bord zeigt Franck nur der guten Ordnung halber, ebenso die Feuerlöscher. Erst die Pumpe für die Toiletten bedarf eines Selbstversuchs, dann steckt der Schlüssel neben dem Steuerrad, und der Dieselmotor beginnt zu schnurren. Einmal ablegen und anlegen, befiehlt Franck, schon löst sich die Calypso 1 aus ihrer Parklücke. Ich drehe eine Runde im Hafenbecken von Hesse, soll rückwärts wieder anlegen, und weil Franck vorsagt, was zu tun ist, schaukeln wir schließ-lich wieder sicher am Kai. Das war's, signalisiert Franck und lässt uns etwas ratlos zurück.

Sechs Tage liegen vor uns, zweimal 21 Schleusen und 130 Kilometer. Sechs Tage, in denen wir die Kapitänsaufgaben teilen und unsere Erlebniise in Logbüchern festhalten werden. In Höchstgeschwindigkeit tuckern wir in die Abendsonne, überholen schwarzweiß gefleckte Kühe, haben aber gegen die Rad fahrenden Rentner auf dem Uferwege keine Chance. Nach zwei Stunden erreichen wir Gondrexange, wo wir abbiegen in den Saar-Kohle-Kanal und zur ersten Nacht festmachen.

Der Saar-Kohle-Kanal: ein grauer Name, der Industrie verspricht, Lärm und Gestank. 186 wurde die 63 Kilometer lange Wasserstraße vom Saarland in Richtung Straßburg eröffnet, um Europas reichhaltigste Kohlevorkommen für Frankreichs Industrie zu erschließen. An seinen Ufern tummelten sich Seeleute und Schleuser; heute, 140 Jahre später, liegt die Flussschifffahrt danieder. Und der Saar-Kohle-Kanal hat neben seiner Bedeutung jeglichen Geruch von Kohle verloren. Nur noch Hausboote durchkreuzen die Wälder und Auern zwischen Gondrexange und der Grenzstadt Saargue-mines, 2000 pro Jahr. Ein Geheimtipp unter Freunden stiller Naturerlebnisse.

Vor den Wäldern und Auen stehen die Teiche, hunderte haben die Fürsten hier angelegt. Nun dienen Sie als Wasserreserve für den Kanal und Hobbyanglern wie Benjamin als Revier. Für 30 Euro hat er das Recht erworben, im Trübgrünen zu fischen: Zander, Hecht, Wels, Karpfen, Aal, Schleue und Rotauge bevölkern Teiche und Kanäle im Elsass. Doch anstatt anzubeißen, knabbern sie bloß Benjamnis Weißbrotköder vom Haken. "Ich habe keine Ahnung vom Angeln", vertraut er seinem Logbuch an, nachts träumt er "von großen Karpfen. Sie blubbern mich an, vielleicht lachen sie mich aus." David entwickelt derweil Hochseeallüren: "Da ich die Mannschaft im Hinblick auf den nächsten Tag schonen wollte, verzichtete ich darauf, Wachen abzustellen", schreibt er, vermutlich nach einem allerletzten Glas Rotwein.

Am nächsten Morgen, kurz nach dem Ablegen, eine Begegnung mit Landsleuten. Mit panischen Armbewegungen rudern sie auf ihren festgemachten Hausbooten durch die Luft. "Zwei", brüllt einer immer wieder, "zwei! Uns fliegen die Kaffeetassen vom Tisch." Offensichtlich haben wir zu rasch Fahrt aufgenommen, erst als wir auf die geforderten zwei Stundenkilometer drosseln, dröhnt uns ein höhnisches "Danke"" entgegen. "Good old Germany", kritzelt Michael zynisch in sein Logbuch. Dann geraten wir in die Hände einer legalen Schleuserbande. Zwei flinke Jungs be-gleiten uns bis Mittersheim, um 15 Schleusen mit eisernen Hebeln zu öffnen und zu schließen. Schließlich übernimmt eine gelbe Fernbedienung ihre Arbeit.

Mittersheim. Nie im Traum wären wir darauf gekommen, Mittersheim zu besichtigen. Nun tun wir es : ein unschein-bares Dorf am Fuße der Vogesen, 600 Einwohner, zwei Bäcker, eine Post, ein Wasserturm. Wer auf dem Kanal reist, reiht nicht Sehenswürdigkeiten aneinander wie ein Autofahre, sondern würdigt das am Ufer Liegende. So lerne ich Melanie im Café du Port kennen, die mir Fotos aus Zeiten zeigt, da im Stall nebenan noch Zugpferde untergebracht waren und die Schleuser in Dutzenden gezählt wurden.

"Haben einen blinden Passagier zurückgelassen, ene Salami fressende Katze", notiert Michael am nächsten Morgen. Es geht weiter hinab in Richtung Saarland, Schleuse für Schleuse. David verschläft den Start und wittert in seinem Logbuch "Meuterei. Während ich schlummerte, legte die Mannschaft eigenmächtig ab."

Bei einem Waldspaziergang finde ich einen Steinpilz und verarbeite ihn zu einem Miniragout. Ansonsten hat Benjamin die Kombüse übernommen, nicht ohne bösen Verweis auf die Vortage: "Bisher schien mir das Essen zu lieblos zubereitet."

Den Wäldern folgen Auen. Bei Sarralbe führt der Kanal auf einem gewaltigen Aquädukt über das Flüsschen Albe hinweg. Dann schmiegt sich mit einem Mal die Saar an ihrem eigenen Kanal. Eine schmale, lang genzogene Halbinsel trennt un-gebeugtes Mäandern von konstruierter Geradlinigkeit. Kurz vor Schleuse 22, wenige Kilometer vor Saareguemines, beschließen wir umzukehren. David wendet die Calypso 1 "in einem heiklen Manöver", wie er selbst notiert. Später sammeln er und Michael trockenes Holz für ein abendliches Lagerfeuer. Benjamin verfüttert weiter Weißbrot an die Kanalfauna.

Am nächsten Morgen liegt Nebel auf Fluss und Kanal. Ich steuere vom Deck aus, tauche mit der Calypso 1 zurück in die grünen Tunnel des Laubwalds. Als erste Sonnenstrahlen den Nebel zerstäuben, erreichen wir wieder die Welt der Schleuser, wo uns anstelle der beiden Jungs deren schwarz gelockte Kollegin Hélène empfängt. "Kaum ist man fünf Tage auf hoher See, schon reicht eine Schleuserin aus, die gesamte Mannschaft verrückt zu machen", notiert Michael. Doch alle Versuche, Hélène an Bord einzuladen, schlagen fehl.

Was Hélène entgeht, ist der Zauber eines weiteren Festmahls und Benjamins hysterischer Aufschrei, als plötzlich doch fingergroßes Zappeln an seiner Angel hängt: Ein Rotauge hat sich erbarmt und den Baguette-Köder geschluckt. Was folgt, ist eine Mischung aus Einsicht und Mitleid: zu groß die Mannschaft, zu klein der Fisch. Rotauge darf weiter leben. Zur abendlichen Tagliatelle serviert unser Küchenchef den Seelachs aus dem Supermarkt.

Auch an der letzten Anlegestelle lese ich aus der Odyssee vor, den zwölften Gesang, an dessen Ende der Held in der letzten Nacht heimgeführt wird "gen Ogygia, wo Kalypso, die schön gelockte, die here melodische Göttin huldreich nahm mich auf". Unsere Calypso hingegen, die gleißend weiße, unsere 13,25 Meter lange und 4,10 Meter breite Flussyacht mit dem goldgelben Schirm auf dem Sonnendeck - sie entließ uns tags darauf wieder in den Hafen, wo uns unsere Autos, Asphalt und Verkehrslärm erwarteten.

Verpflegung:
Den Grundbedarf für die Kombüse sollte man vor Abreise decken, inklusive Spülmittel und Toilettenpapier. Bäckereien gibt es in Mittersheim und Harskirchen, Supermärkte in Sarralbe und Sarreguemines.

Besonderer Tipp:
Wer Zeit für einen Abstecher auf den Rhein-Marne-Kanal hat, sollte das Hebewerk von Arzwiller durchfahren, wo bis zu drei Hausboote in einem 41 Meter langen Wassertrog binnen 20 Minuten über 45 Meter an gewaltigen Stahlseilen emporgehievt oder hinabgelassen werden. Das 1969 eröffnete Hebewerk ersetzte 17 Schleusen zwischen Nancy und Straßburg
(www.plan-incline.com)





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