Pressetexte


Mit dem Hausboot durch Flandern

Süddeutsche Zeitung



Der stille Kanal

Sanft plätschert das Wasser, irgendwo muht eine Kuh: Mit dem Hausboot durch die idyllische Landschaft Flanderns von Nieuwpoort nach Brügge.
Von Adrienne Braun






Alle halten inne, wenn Touristen durch die schmalen Kanäle von Flandern schippern.
Foto: Connoisseur


Sogar die Kühe glotzen. Kaum fährt ein Boot über den Kanal, drehen sie ihre breiten Schädel und gaffen herüber. Viel los ist hier nicht. Am Abend nach dem Melken werden sie sich, falls zwei oder gar drei Boote vorbeigekommen sein sollten, zumuhen: "Das war jetzt mal ein aufregender Tag." Eine Attraktion.

Die Kühe glotzen, die Kinder winken, alle halten inne, wenn sich Touristen auf ein Hausboot wagen und durch die schmalen Kanäle von Flandern schippern. Während der Schleusenwärter kurbelnd die Tore schließt, schauen die Passanten neugierig und diskutieren, ob man in einem Hausboot anständig schlafen, essen und sich waschen kann.

Kann man. Wer sich eines der größeren Hausboote mietet, die seit kurzem auf den Kanälen von Flandern im Einsatz sind, hat allen Komfort an Bord. Man kann heiß duschen und Bier kalt stellen, eine Pizza in den Backofen und eine CD in die Musikanlage schieben.

Früher, als Kinder, haben wir Haus gespielt, Decken über den Esstisch geworfen und uns darunter eingerichtet. Tellerchen, Tässchen, Schüsselchen. Ein Hausboot ist die De-luxe-Version dieses Traumes vom kleinen, feinen Heim. Genial kompakt, hier luxuriös wie bei besseren Leuten, dort pragmatisch, praktisch, wundersam.

Drei Kabinen haben die großen Boote, im Bug sind die Matratzen abgeschnitten und eingepasst in die Rundungen der Schiffswände, sodass man sich wie ein Kätzchen einrollen muss.

Die Bäder an Bord sind logistische Wunderkammern
Tische werden klappend vergrößert, überall Türen, hinter denen sich Schwimmwesten, Putzeimer oder Badezimmer befinden. Die immerhin drei Bäder an Bord sind logistische Wunderkammern, in denen man alles kann außer sich drehen. Aber dafür sind Bäder ja auch nicht gedacht.

Kurzum, ein Hausboot ist eine fahrende Wohnstube, in der auf engstem Raum all das untergebracht wurde, was der Mensch braucht: Mikrowelle und Heizung, Sonnendeck und Sitzecke, Herd, Wischmopp und vor allem ein Bugstrahlruder.

Bugstrahlruder? Man muss nicht wissen, was ein Bugstrahlruder ist, man sollte es einfach nur besitzen. Um in Belgien ein Hausboot zu steuern, braucht man keinen Führerschein.

In einer knappen Stunde erklärt der junge Mann vom Bootsverleih die wichtigsten Dinge: "Wenn es nach Gas riecht, hier drehen. Wenn es regnet, dort pumpen. Wenn es kalt ist, die Heizung einschalten." Und ansonsten: "Rufen Sie uns einfach an, wir sind 24 Stunden für Sie da."






Brügge ist zur einen Hälfte Kulturgut, zur anderen Palinengeschäft.
Foto: AP


In Nieuwpoort beginnt die Reise, einem der typischen Ferienorte an der belgischen Küste. Betonriegel am Meer, Kinder brausen gegen die Langeweile mit allerhand Fahrgeräten den Strand entlang. Händler preisen ihre Windjacken an, Bier, Zuckerwatte, Souvenirs, das übliche Urlaubsgetriebe.

Aber schon ein paar hundert Meter weiter, am Kanal, beginnt eine andere Welt, in der die Hektik der Neuzeit noch nicht angekommen ist. Langsam setzt sich das Hausboot in Bewegung, das man doch eben erst vorsichtig erklommen und neugierig bestaunt hat. Wohlig brummt der Motor, und sobald sich leichte Wellen hinter einem kräuseln, ist man schon eingetaucht in die friedliche Idylle Flanderns, in die Weite der Natur.

Wie ein Truckerfahrer sitzt man auf dem Barhocker im Cockpit und lenkt ein bisschen links, ein bisschen rechts, dabei geht es doch immer nur geradeaus. Zwölf Kilometer schaffen die Boote pro Stunde, aber Tempo ist eine Kategorie, von der man sich bald verabschieden sollte, denn sonst übersieht man die Kraniche und Reiher, die um die Wette fliegen. Die Enten, die abtauchen, die Holzstücke, die wie Krokodile im Wasser liegen.

Manchmal kommt es vor, dass Kühe vor lauter Freude am Ufer ein Stück mitrennen. Fahrradfahrer radeln über Feldwege und selten befahrene Straßen. Häuschen, Hütten, Wiesen, Wasser - und Ruhe. Das Bordbuch weist den Weg, wer sich einer Schleuse oder Brücke nähert, muss mit dem Handy den Wärter anrufen.

Manchmal kommt er prompt, manchmal dauert es eine Weile, bis er herbeiradelt, und sich quietschend und ächzend die Brücke hebt. Auf der 160 Kilometer langen Ijzer Route kommt man auf immerhin 28 Brücken und zwölf Schleusen, die nicht nur die Fahrt unterbrechen, sondern für Erholung sorgen: wer hier steht, wartet, schaut, winkt und plaudert, übt sich in friedlicher Selbstvergessenheit.

Joker ziehen und das Bugstrahlruder einsetzen
Es ist nicht schwer, Hausboot zu fahren. Ein Hausboot zum Stehen zu bringen oder gar einzuparken, ist dagegen Horror. Zumindest für Anfänger. In Diksmuide herrscht Hochbetrieb. Gut zwanzig Hausboote und Yachten blockieren die Anlegestellen des "Portus Dixmunda". Wie hungrige Tiger kriechen die Besitzer an Deck und nehmen den Feind ins Visier. Der Feind, der sind wir, die wir direkt auf eine Yacht zusteuern.

Jetzt will man bremsen, souverän wie an einer roten Ampel herunterschalten, einparken und aussteigen. Aber Schiffe haben keine Bremsen. Sie fahren nach vorne und nach hinten, aber im Leerlauf treiben sie stur dorthin, wo die Strömung es will. Sie drehen nach rechts, obwohl man nach links kurbelt.

Und sie hätten vermutlich auch keine Hemmungen, auf Stege oder Millionen schwere Yachten zu donnern. Wenn nicht ... ja, wenn man jetzt nicht den Joker ziehen und das Bugstrahlruder einsetzen würde - ein kleiner Schalter mit großer Wirkung.

Schwerfällig reagiert ein Schiff auf das Kommando des Lenkrades, mit Hilfe des Bugstrahlruders wird es flink nach links oder rechts gedreht und manchmal haarscharf am Hindernis vorbei. Kleine Pannen gehören übrigens dazu, aber die Hobbykapitäne werden gut versichert und Dellen an den Schiffen wieder ausgespachtelt.

Hausbootfahren ist bisher noch Männersache, dabei braucht man hierzu keine Muskeln, sondern einfach nur einen wachen Geist und etwas Übung. In Holland sind es meist die Väter, die die Familie durch den Urlaub lotsen, und in Irland fahren die Männer die besten Pubs an, um mal so richtig einen durchzuzischen.

Belgien steht für Natur plus Kultur. In den meisten Orten kann man direkt im Zentrum anlegen, aber auch hier erwarten die Besucher nicht Spektakel, sondern kleine, feine Sehenswürdigkeiten mit Atmosphäre.

Seite 3/3) erste Seite



mehr zum Thema

Special
Sommerspezial

Special
Der Festival-Sommer

Special
Mittelmeer-Spezial


mehr




Hübsch ist der "Große Markt" von Veurne, an dem Renaissance-Häuschen mit den typischen Treppengiebeln stehen. Im Mittelalter blühte in Veurne der Tuchhandel, der Spanische Pavillon von 1450 erinnert noch an den Einfluss der Spanier; später, im 19. Jahrhundert war das Städtchen auch ein paar Jahre französisch. Viel mehr als seine Geschichte hat Veurne heute nicht mehr zu bieten.

Im Juni findet eine Büßerprozession statt, mittwochs ist Markt. Trotzdem kommen die Touristen, wenn an der Küste schlechtes Wetter ist, weil es ein pittoreskes, stimmungsvolles Örtchen ist. Rilke schrieb hier sein Gedicht "Der Turm", das Hotel "Die noble Rose", in dem er und viele andere Größen logierten, ist leider nicht mehr in Betrieb.

Macht nichts, wer mit dem Hausboot unterwegs ist, holt die Leinen ein und fährt in seinem mobilen Privathotel davon. Bei gutem Wetter kann man auch vom Sonnendeck aus steuern und sich den Wind um die Nase wehen lassen. Bootstouren sind ideal für Menschen, die es spontan mögen. Stopp and go, wie"s beliebt, nur die Brücken und Schleusen werden zu festen Zeiten bedient.

Die meisten Urlauber planen ihre Route trotzdem durch, um möglichst viel zu sehen: das Brauereimuseum in Alveringem. Die Augustinerabtei und den Taubenturm von Loo, wo schon Cäsar gewesen sein soll, und ein winziger Belfried steht, der eine Grundfläche von gerade mal vier Quadratmetern hat. Andere sind auf den Spuren des Ersten Weltkrieges und suchen das "Trauernde Elternpaar" von Käthe Kollwitz auf. Auf dem Soldatenfriedhof Vladslo-Praetbos bei Diksmuide stellte die Künstlerin die Skulptur auf, weil hier ihr gefallener Sohn begraben wurde.

Trappisten-Bier und Kriek mit Kirsch
Und zwischendrin wird gegessen und natürlich Bier getrunken. Selbst wenn man ordentlich trinkfest ist, wird man nicht so bald sämtliche Sorten durchhaben, Trappisten-Bier, Kriek mit Kirsch oder "de verboden Vrucht" von Hoegaarden, auf dessen Etikett Adam seine Eva mit dem Apfel verführt. Kurios sind die Restaurants mitunter.

In Stavele, einem Ort in der Region Westhoek, der Westecke Flanderns, bieten ein Metzger und seine Frau ein Schlachterbuffett an. Als Aperitif gibt es einen "Picon" nach Geheimrezept, danach geht es in die kalte Metzgerei, wo Würste und andere deftige Spezialitäten bereitstehen. Das ist Flandern pur: gehaltvolles Essen, starkes Bier und um einen herum nichts als endlose Weite, Wiesen, Kühe und der tief hängende Horizont.

Die Pralinenpromenade
Mehr bräuchte es nicht, aber es gibt mehr. Höhepunkt und Schmuckstück Flanderns ist Brügge. Die mehrstündige Fahrt über den Gent-Ostend-Kanaal führt nicht nur zu dem Weltkulturerbe, sondern auch zurück ins Hier und Heute. Auch in Brügge kann man im satten Grün unter großen Bäume anlegen.

Aber schon nach wenigen Metern wird man verschluckt von den Touristenscharen, die artig ihr Foto im Innenhof des Beginen-Klosters machen, eh sie die Pralinenpromenade absolvieren. Brügge ist zur einen Hälfte Kulturgut, zur anderen Pralinengeschäft.

Wenn Burgplein und Heilig-Blut-Basilika, Stadhuis und Memlingmuseum besichtigt sind, man vielleicht auch noch das Bierrestaurant "Den Dyver" mit seinen sämtlich in Bier gekochten Speisen überlebt hat, - hat man fast schon Sehnsucht nach dem wohligen Brummen des Motors. Die Tüten mit den Souvenirs abgelegt, die Schuhe aus, der

Motor gestartet, und langsam fährt das Boot der Nacht entgegen. Bei Dunkelheit darf nicht gefahren werden. Aber falls man es nicht mehr bis zu einer regulären Anlegestelle schafft, kann man zur Not das Tau um einen Baum wickeln oder einen Stecken in den Boden rammen. Und dann schaukelt man mitten auf dem Kanal in seinem Boot, das fast schon ein Stück Heimat geworden ist.

Sanft plätschert das Wasser, irgendwo muht noch eine Kuh, über der stillen Polderlandschaft hängen die Sterne. Und wenn man dann in seiner Koje liegt, merkt man erst, wie unsinnig die Frage ist, ob man in einem Hausboot schlafen kann. Man tut es einfach. Und zwar selig wie selten.



zurück